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Psychisch Kranke strukturell diskriminiert

In Deutschland gehen 16 Prozent des Bruttoinlandsproduktes und in Österreich rund sieben Mrd. Euro der jährlichen Wirtschaftsleistung laut Berechnungen von Business Doctors durch psychische Erkrankungen verloren. Bei einem "innenwelt Talk" in Wien attestierten heimische Experten ein Mehr an einschlägigen Diagnosen, kritisieren aber Versorgungslücken wie auch die Krankenkassen. "Keine Angst vor Psychiatern", rät Christa Rados von der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie & Psychotherapie.
Streit ums Geld
"Psychische Erkrankungen sind in Österreich immer noch Erkrankungen zweiter Klasse", bemerkt Ulla Konrad, Präsidentin des Berufsverbandes Österreichischer PsychologInnen. Zudem sei eine psychologische Behandlung derzeit keine Leistung der Krankenkassen und folglich selbst zu bezahlen. "Dort herrscht ein absolutes Unverständnis und sogar die Befürchtung eines Fasses ohne Boden", ärgert sich die Vertreterin von rund 4.500 Psychologen und resümiert: "Die Versorgung psychisch Kranker hierzulande ist eine Unterversorgung."
Auch bahnt sich eine Spaltung der Berufsgruppen an, befürchtet Rados. "Jeder kann psychisch erkranken", weiß die Fachärztin vom LKH Villach, "und jeder Vierte bis Fünfte tut es auch". Laut jüngster innenwelt-Umfrage kontaktieren 42 Prozent den Hausarzt, 20 Prozent versuchen es bei "Dr. Google", 17 Prozent bei Psychotherapeuten und sieben Prozent bei Psychologen. Laut Rados wird der Hausarzt immer die Drehscheibe im Gesundheitssystem bleiben, für psychisch Erkrankte sei danach aber entscheidend, "wo man hingehört".
"Role Models" wichtig
Psychiater haben die höchste Behandlungskompetenz und den schlechtesten Ruf, bedauert Rados. Dabei handele es sich aber um Ärzte mit einer anschließend sechsjährigen Fachausbildung, die auch Medikamente verschreiben dürften. "Psychologen haben ebenfalls studiert, sind keine Ärzte und dürfen Letzteres nicht." Psychotherapeuten schließlich hätten die heterogenste Ausbildung und seien primär im Gespräch geschult. "In der Praxis gibt es viele Überschneidungen wie auch Spezialisierungen", weiß BÖP-Präsidentin Konrad und hält auch populäre Erkrankte als "Role Models" für sehr wichtig.
Auch wenn hauptsächlich von Depressionen, Psychosen bis hin zu Suchtverhalten die Rede ist, spricht sich Michael Kunze von der Medizinischen Universität Wien gegen eine Trennung von seelischer und körperlicher Erkrankung aus. "Dass die Arbeitswelt krank macht, greift ebenfalls zu kurz." Der vermeintliche Stress durch Handys sei ein "politischer Gag". Geld für Behandlungen psychischer Erkrankungen gebe es in Österreich genug, so Kunze. Man befinde sich nur in budgetärer Konkurrenz zum Straßenbau, Agrarsektor oder der Landesverteidigung.
Autor: pressetext.de; Johannes Pernsteiner (Stand: 14.06.2012)