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Ärzte und Patienten verunsichert!
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![]() | ![]() | Was darf ich denn überhaupt noch gegen Rheumaschmerzen einnehmen bzw. verordnen? Anzeige: Schwere Zeiten für Rheumatiker und ihre behandelnden Ärzte: |
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Da gab es endlich ein gut wirksames Mittel gegen Rheumaschmerzen mit dem Wirkstoff Rofecoxib (Vioxx), welches gut gegen Rheumaschmerzen und auch gegen die Begleitentzündung wirkte, und – das ist der entscheidende Vorteil – es zeigten sich nicht in dem Ausmaß die gefürchteten Magen-Darm-Nebenwirkungen wie bei den bislang einsetzten Rheumaschmerzmitteln.
Plötzlich aber wurde dieses Vioxx wegen Herzkreislauf-Nebenwirkungen vom Markt genommen. Das heißt, in einer Studie traten bei den mit Vioxx behandelten Patienten mehr Herzinfarkte und Schlaganfälle auf, als bei Patienten, die nur ein Placebo (Scheinmedikament) genommen hatten.
Solche Studien müssen durchgeführt werden. Sie sind immer so angelegt, dass das echte Medikament gegen das Scheinmedikament getestet wird. Weder Arzt noch Patient wissen, wer die „echten Medikamente“ und wer die Scheinmedikamente einnimmt.
So ganz nebenbei sei gesagt, dass es auch bei dem Placebo zu deutlichen Wirkungen, aber auch Nebenwirkungen kommt. Dieses Phänomen kennt man schon seit vielen Jahren.
Acetylsalicylsäure erweist Bärendienst
In solchen Studien kann es vorkommen, dass zwei „echte Medikamente“ (Wirksubstanzen) gegen ein Scheinmedikament getestet werden.
So gab es zum Beispiel in 2003 eine Studie, in der Acetylsalicylsäure (z. B. ASS, Aspirin) mit dem Wirkstoff Rofecoxib (Handelsname also Vioxx) verglichen wurde. Da zeigte sich interessanterweise ein Ergebnis, mit dem keiner der Ärzte je gerechnet hätte: Die Patienten, die Acetylsalicylsäure eingenommen hatten, hatten ein höheres Herzkreislauf-Risiko als die anderen Patienten, die keine Acetylsalicylsäure eingenommen hatten.
Dies ist deswegen erstaunlich, weil Acetylsalicylsäure oft gerade deswegen eingenommen wird, um Herzkreislauf-Krankheiten vorzubeugen!
Im nächsten Schritt bei der Auswertung dieser Studie schlüsselten die Studienleiter die Herzkreislauf-Nebenwirkungen genauer auf: Sie unterscheiden danach, wer einen Herzinfarkt und wer einen Schlaganfall bekommen hatte.
Und siehe da, mit diesem Auswertungsverfahren war die Anzahl der Herzkreislauf-Krankheiten nicht mehr auffällig im Vergleich mit den Scheinmedikamenten (Placebos). Man hätte die Herzkreislauf-Krankheiten nicht aufschlüsseln dürfen in Herzinfarkt und Schlaganfall, wird im Nachhinein kritisiert.
Altbekanntes Rheumaschmerzmittel Naproxen in Misskredit
„Verrückte Welt“, werden Sie jetzt wahrscheinlich denken gleichzeitig aber auch wissen wollen: Was bedeutet das für die Patienten?
Na ja, das Medikament Vioxx gehört zu einer Medikamentengruppe, die man als COX-2-Hemmer bzw. als Coxibe bezeichnet. Vioxx hat also noch mehrere Verwandte. Zudem gibt es noch andere Rheumaschmerzmittel, die auch noch auf dem Markt.
All diese Medikamente hätten diese Herzkreislauf-Nebenwirkungen – wie sie bei Vioxx aufgetreten sind – wohl nicht. Doch halt, da gibt es ja schon wieder Studienergebnisse! Und zwar wurde jetzt ein altbekanntes Rheumaschmerzmittel mit der Wirksubstanz Naproxen (enthalten zum Beispiel in Aleve, Dolormin, Dysmenalgit, Prodolor, Proxen) gegen den Wirkstoff Celecoxib und natürlich gegen ein Scheinmedikament getestet. Und wieder zeigte sich eine Zunahme von Herzkreislauf-Ereignissen. Aber diesmal nicht in der Gruppe, die das Coxib erhalten hat, sondern in der „Naproxen-Gruppe“! Dazu gleich mehr.
Zur Aufklärung muss hier noch eingefügt werden, dass nicht in allen Dolorminpräparaten Naproxen enthalten ist, sondern nur in einem Präparat, nämlich in Dolormin gegen Schmerzen während der Periode (also eine Anwendungsdauer von cirka drei Tagen, gegen die nichts zu sagen ist). Die übrigen Präparate, unter anderem auch Kindersaft gegen Schmerzen und Fieber enthalten nicht Naproxen, sondern Ibuprofen.
Diese Studie war übrigens ins Leben gerufen worden, um zu prüfen, ob Medikamente gegen Entzündungen das Risiko senken können, an Alzheimer zu erkranken. Diese Studie wurde jetzt gestoppt, weil ausgerechnet bei den Menschen, die das vergleichsweise harmlose Naproxen bekamen, die Häufigkeit von Herzkreislauf-Ereignissen (Herzinfarkt und Schlaganfall) größer war, als bei den Studienteilnehmern, die ein Placebo oder Celecoxib nahmen.
Widersprüchliche Ergebnisse zu Coxiben
OK werden Sie denken, das habe ich jetzt verstanden, also sollte man das Rheumaschmerzmittel Naproxen nicht über eine zu langen Zeitraum einnehmen – wie das sowieso im Beipackzettel steht und der Arzt auch gesagt hat – und den Vioxxverwandten Celecoxib, den kann ich ja dann wohl unbedenklich gegen Rheumaschmerzen nehmen.
Könnte man so meinen, wenn da nicht schon wieder Studienergebnisse wären, die jetzt aber die Verwirrung wirklich komplett machen. Es werden jetzt von der amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA-Studien-Zwischenergebnisse veröffentlicht, die einerseits beunruhigen und andererseits auch wieder beruhigen: So wurde in einer Untersuchung das schon genannte Coxib mit dem Wirkstoff Celecoxib in höheren Dosen von 400 bis 800 Milligramm teilweise über 33 Monate eingesetzt und zeigte dann ein erhöhtes Herzkreislauf-Risiko im Vergleich zu dem Placebo.
Bei einer zweiten Langzeitstudie, in der Celecoxib in Dosen von 400 Milligramm über zwei Jahre eingesetzt wurde, zeigte sich dagegen zu dem Placebo kein erhöhtes Risiko für Herzkreislauf-Ereignisse. Dieses letzte Ergebnis deckt sich übrigens mit Ergebnissen einer so genannten Metaanalyse von 15 Studien zu Celecoxib, in denen mehr als 30.000 Patienten mit Osteo-Arthrose und rheumatoider Arthritis beteiligt waren.
Bundesinstitut empfiehlt alternative Medikamente
„Ja um Himmelswillen, was soll ich denn jetzt einnehmen?“ werden Sie jetzt mit Recht fragen. Eine Antwort gibt zurzeit das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM): Beim gegenwärtigen Kenntnisstand ist es nicht vertretbar, Patienten mit erhöhtem Risiko für Herzkreislauferkrankungen oder solchen Erkrankungen in der Vorgeschichte (zum Beispiel Herzinfarkt und Schlaganfall) mit Celecoxib zu behandeln.
Bei diesen Patienten sollten alternative Medikamente zur Schmerztherapie und Entzündungshemmung, zum Beispiel herkömmliche Rheumaschmerzmittel (werden häufig abgekürzt mit NSAR) verordnet werden, eventuell in Kombination mit einem Präparat zum Magenschutz. Kann auf die Behandlung mit Celecoxib nicht verzichtet werden, sollte die niedrigste mögliche Dosis gewählt werden.
Persönlicher Tipp von Dr. Gerhardt
Ich persönlich empfehle Ihnen, auf jeden Fall das Gespräch mit Ihrer behandelnden Ärztin/Ihrem behandelnden Arzt zu suchen. Mit ihm sollten Sie die weitere Behandlung Ihrer Beschwerden und eine mögliche Therapieänderung besprechen. Nach meinem Kenntnisstand und nach meiner Erfahrung bin ich mir sicher, dass vor allem bei den alten Rheumaschmerzmitteln ebenfalls mit erheblichen Nebenwirkungen im Bereich von Herz-Kreislauf zu rechnen ist, wenn sie zur Dauertherapie eingesetzt werden.
Die neueren Coxibe hingegen wirken alle gut bei Schmerzen, Entzündungen, sie lassen den Magen-Darm-Bereich weitgehend in Ruhe. Aber – sie sind wie fast alle anderen Medikamente auch nicht frei von Nebenwirkungen; in diesem Fall heißen die Nebenwirkungen Herzkreislauf-Ereignisse. Nur sind die Nebenwirkungen wohl von Präparat zu Präparat verschieden. Den Patienten, welchen sie helfen sollen, bleibt nichts anderes übrig, als mit ihren Ärzten eine sorgfältige individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung vorzunehmen.
Ganz wichtig ist das Folgende für einen Rheumaschmerzpatienten: Ein Mittel gegen Schmerz und Entzündung wird nur deshalb verordnet, damit die Beschwerden nachlassen und Sie sich wieder bewegen können! Danach ist durch die Bewegung, Krankengymnastik und weiteren physikalische Maßnahmen die Therapie zu unterstützen. Oft kann dann auch die Dosis des Rheumaschmerzmittels reduziert werden oder es kommen pflanzliche Präparate zum Einsatz, die weniger Nebenwirkungen haben.
Mehr zu seriösen alternativen Therapien bei Rheuma erfahren Sie übrigens in dem folgenden Buch: „Rheuma: Schmerzen lindern – Beweglichkeit steigern“, von Dr. Wolfgang Bolten und Dr. Gabriele von der Weiden. Autor: Dr. med. Günter Gerhardt; Stand: 23.12.2004
