Tipp des Tages
Bewegungsstörungen: Wenn der Körper nicht mehr gehorcht
Haben Sie auch schon einmal einen Menschen erlebt, der seltsame zuckende Bewegungen vollführte? Sei es, dass er den Hals immer wieder verdrehte, oder die Augen andauernd schloss, oder den Mundbereich merkwürdig verzerrte. Diese Bewegungsstörungen werden Dystonien genannt: „Tonien“ ist das Wort für die Spannungszustände im Muskel, die Vorsilbe „Dys“ deutet an, dass hier etwas falsch verläuft. Dystonien können überall im Körper auftreten.
Vor nicht allzu langer Zeit wurden sie als psychische Krankheit angesehen. So dachte man, dass Patienten mit einem Lidkrampf bzw. dem Blinzeltick „die Augen vor der Welt verschließen“. Oder dass Patienten mit einem Schiefhals „sich von ihrem Schicksal abwenden“. Dies geschah einer jungen Mutter, die nach der Geburt ihres Kindes einen Schiefhals bekam. Immer wenn ihr Kind schrie und sie in Stress geriet, drehte sie unwillkürlich den Kopf nach hinten. Jahrelang ging sie zu einem Psychotherapeuten. Dieser war der Meinung, die Frau würde sich unbewusst von ihrem Baby abwenden, da die Schwangerschaft nicht gewollt war. Nach zig Jahren stellte endlich ein Hausarzt die richtige Diagnose: Dystonie. In einer Dystonieambulanz bekam sie die richtige Therapie, und der Schiefhals verschwand.
Es gibt in Deutschland mehr als 160.000 Betroffene.
Die Krankheit kann in jedem Alter und bei Mann und Frau gleichermaßen auftreten. Wenn sie allerdings in der Kindheit beginnt, besteht leider ein großes Risiko, dass sie sich zu einer generalisierten Form entwickelt, die den ganzen Körper betrifft. Diese Menschen können dann kaum mehr gehen.
Viele Betroffene haben das Problem, dass Arbeitskollegen oder fremde Menschen zuerst denken, „die Person tickt nicht ganz richtig“. Dies kann zur Ausgrenzung, Vereinsamung bis hin zum Verlust des Arbeitsplatzes führen. Dabei wäre die Therapie bei der richtigen Diagnose meist recht einfach (siehe unten: Botox kann helfen).
Das steckt dahinter
Dystonien sind eine Fehlfunktion bei der Kontrolle von Bewegungen, die sich unter Stress verschlimmert. Die Ursache liegt in den tieferen Bereichen des Großhirns, den Basalganglien. Das ist eine Gruppe von Nervenzellen, die eine wichtige Rolle bei der Regulation von Bewegungen spielen. Sie erleichtern gezielt einige Bewegungen und unterdrücken andere. Wenn die Basalganglien geschädigt sind, entstehen ungewollte und unsinnige Bewegungen, die man nicht bewusst steuern kann. Sie können langsam und einmalig sein, oder schnell und sich häufig wiederholend. Mischformen sind ebenfalls möglich. Dabei können auch Verkrampfungen entstehen: Der betroffene Körperteil kann dann nicht sofort wieder in die normale Position zurückgebracht werden, sondern verharrt in der unnatürlichen Stellung. Dies hat aber nichts mit einer rein muskulären Verkrampfung zu tun, wie bei einer Nackenverspannung oder einem Wadenkrampf. Die Dystonie und die schmerzbedingte Verkrampfung können oft nur schwer unterschieden werden.
Diagnose nicht so einfach
Leider ist die Schädigung der Basalganglien bei den meisten Patienten nicht einmal durch moderne Gehirnaufnahmen wie die Computertomographie (CT) oder Magnetresonanztomographie (MRT) zu erkennen. Auch Blutuntersuchungen oder die elektrische Aufnahme der Hirnströme (Elektroenzephalogramm = EEG) oder Hirndurchblutungsmessungen zeigen meist keine Auffälligkeiten. Zur Diagnose ist es also wichtig, dass der Arzt sich mit Dystonien auskennt, denn oft kann er nur aus Erfahrung die richtige Diagnose stellen. Außerdem gibt es noch die Möglichkeit, dass andere Krankheiten im Gehirn dahinter stehen, wie Blutungen, Mangeldurchblutung, Entzündungen oder Krebs. Auch eine Kopfverletzung, sowie einige seltene Erkrankungen, wie Morbus Wilson oder die Kupferspeicherkrankheit können Dystonien verursachen.
$imageleft2$Botox kann helfen
Botulinumtoxin ist eines der gefährlichsten Gifte, das früher als „Wurstgift“ bezeichnet wurde, weil es sich in schlecht konservierten Lebensmitteln bildet. Spritzt der Arzt es hochverdünnt in einen Muskel, wird dieser ruhiggestellt. Das Gift greift nämlich in die synaptischen Verbindung zwischen einem Nerven und einer Muskelzelle ein und blockiert die Signalübertragung. Damit wird zwar die Krankheitsursache nicht behoben, denn die Basalganglien im Großhirn senden ja weiterhin ihr „Störfeuer“ in den Körper. Aber die Muskelzellen, die ansonsten auf die unsinnigen Signale reagieren, werden durch Botulinumtoxin stumpf für die Reize der Nerven. Damit hört der „Bewegungstick“ auf. Die Dauer dieser Wirkung ist unterschiedlich, beträgt jedoch im Durchschnitt drei Monate. Die Behandlung wird dann regelmäßig wiederholt.
Dies ist momentan die einzige einfache Möglichkeit, eine Dystonie zu behandeln. Medikamente haben kaum Erfolg. Bei Menschen mit schweren Dystonieformen, wenn etwa der ganze Körper betroffen ist, wird allerdings auch die funktionelle Neurochirugie erwogen. Hier wird ein 3 bis 14 Millimeter breites Loch in den Schädel gebohrt, um dann mittels Spezialsonden die Basalganglien zu erreichen. Dies braucht viel Technik und Erfahrung.
Was ist ein Schiefhals?
Das ist die häufigste und auffälligste Form der Dystonie. Menschen mit einem Schiefhals fühlen sich stark als Außenseiter und werden von der Gesellschaft auch so behandelt. So wäre es wünschenswert, dass der Schiefhals so schnell wie möglich als Dystonie erkannt und entsprechend behandelt wird. Die Muskelverkrampfung kann verschiedene Halsmuskeln betreffen. Das Gefühl ist dann so, als ob die Verkrampfung so richtig in die Muskelstränge hineinschießt und den Kopf in irgendeine Richtung wegzieht. Bei manchen Patienten kann sich ein Kopfwackeln oder Zittern hinzugesellen. Dies alles hat aber nichts mit der Nackenverspannung zu tun, die man z. B. bei zuviel Computerarbeit bekommt.
Die Beschwerden können im Sitzen, Stehen, Gehen oder Liegen unterschiedlich sein. Vor allem beim Schiefhals wenden die Betroffenen automatisch Tricks (geste antagoniste) zur Erleichterung der Beschwerden an. So kann das Anlegen eines Fingers an der Wange zu einer Abnahme des Muskelzuges führen.
Der Schiefhals kann lebenslang andauern, aber genauso auch plötzlich wieder vergehen oder zumindest besser werden. Autor: Wissen Gesundheit-REdaktion
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Erste Vermutung: die Psyche ist SchuldVor nicht allzu langer Zeit wurden sie als psychische Krankheit angesehen. So dachte man, dass Patienten mit einem Lidkrampf bzw. dem Blinzeltick „die Augen vor der Welt verschließen“. Oder dass Patienten mit einem Schiefhals „sich von ihrem Schicksal abwenden“. Dies geschah einer jungen Mutter, die nach der Geburt ihres Kindes einen Schiefhals bekam. Immer wenn ihr Kind schrie und sie in Stress geriet, drehte sie unwillkürlich den Kopf nach hinten. Jahrelang ging sie zu einem Psychotherapeuten. Dieser war der Meinung, die Frau würde sich unbewusst von ihrem Baby abwenden, da die Schwangerschaft nicht gewollt war. Nach zig Jahren stellte endlich ein Hausarzt die richtige Diagnose: Dystonie. In einer Dystonieambulanz bekam sie die richtige Therapie, und der Schiefhals verschwand.
Es gibt in Deutschland mehr als 160.000 Betroffene.
Die Krankheit kann in jedem Alter und bei Mann und Frau gleichermaßen auftreten. Wenn sie allerdings in der Kindheit beginnt, besteht leider ein großes Risiko, dass sie sich zu einer generalisierten Form entwickelt, die den ganzen Körper betrifft. Diese Menschen können dann kaum mehr gehen.
Viele Betroffene haben das Problem, dass Arbeitskollegen oder fremde Menschen zuerst denken, „die Person tickt nicht ganz richtig“. Dies kann zur Ausgrenzung, Vereinsamung bis hin zum Verlust des Arbeitsplatzes führen. Dabei wäre die Therapie bei der richtigen Diagnose meist recht einfach (siehe unten: Botox kann helfen).
Das steckt dahinter
Dystonien sind eine Fehlfunktion bei der Kontrolle von Bewegungen, die sich unter Stress verschlimmert. Die Ursache liegt in den tieferen Bereichen des Großhirns, den Basalganglien. Das ist eine Gruppe von Nervenzellen, die eine wichtige Rolle bei der Regulation von Bewegungen spielen. Sie erleichtern gezielt einige Bewegungen und unterdrücken andere. Wenn die Basalganglien geschädigt sind, entstehen ungewollte und unsinnige Bewegungen, die man nicht bewusst steuern kann. Sie können langsam und einmalig sein, oder schnell und sich häufig wiederholend. Mischformen sind ebenfalls möglich. Dabei können auch Verkrampfungen entstehen: Der betroffene Körperteil kann dann nicht sofort wieder in die normale Position zurückgebracht werden, sondern verharrt in der unnatürlichen Stellung. Dies hat aber nichts mit einer rein muskulären Verkrampfung zu tun, wie bei einer Nackenverspannung oder einem Wadenkrampf. Die Dystonie und die schmerzbedingte Verkrampfung können oft nur schwer unterschieden werden.
Diagnose nicht so einfach
Leider ist die Schädigung der Basalganglien bei den meisten Patienten nicht einmal durch moderne Gehirnaufnahmen wie die Computertomographie (CT) oder Magnetresonanztomographie (MRT) zu erkennen. Auch Blutuntersuchungen oder die elektrische Aufnahme der Hirnströme (Elektroenzephalogramm = EEG) oder Hirndurchblutungsmessungen zeigen meist keine Auffälligkeiten. Zur Diagnose ist es also wichtig, dass der Arzt sich mit Dystonien auskennt, denn oft kann er nur aus Erfahrung die richtige Diagnose stellen. Außerdem gibt es noch die Möglichkeit, dass andere Krankheiten im Gehirn dahinter stehen, wie Blutungen, Mangeldurchblutung, Entzündungen oder Krebs. Auch eine Kopfverletzung, sowie einige seltene Erkrankungen, wie Morbus Wilson oder die Kupferspeicherkrankheit können Dystonien verursachen.
$imageleft2$Botox kann helfen
Botulinumtoxin ist eines der gefährlichsten Gifte, das früher als „Wurstgift“ bezeichnet wurde, weil es sich in schlecht konservierten Lebensmitteln bildet. Spritzt der Arzt es hochverdünnt in einen Muskel, wird dieser ruhiggestellt. Das Gift greift nämlich in die synaptischen Verbindung zwischen einem Nerven und einer Muskelzelle ein und blockiert die Signalübertragung. Damit wird zwar die Krankheitsursache nicht behoben, denn die Basalganglien im Großhirn senden ja weiterhin ihr „Störfeuer“ in den Körper. Aber die Muskelzellen, die ansonsten auf die unsinnigen Signale reagieren, werden durch Botulinumtoxin stumpf für die Reize der Nerven. Damit hört der „Bewegungstick“ auf. Die Dauer dieser Wirkung ist unterschiedlich, beträgt jedoch im Durchschnitt drei Monate. Die Behandlung wird dann regelmäßig wiederholt.
Dies ist momentan die einzige einfache Möglichkeit, eine Dystonie zu behandeln. Medikamente haben kaum Erfolg. Bei Menschen mit schweren Dystonieformen, wenn etwa der ganze Körper betroffen ist, wird allerdings auch die funktionelle Neurochirugie erwogen. Hier wird ein 3 bis 14 Millimeter breites Loch in den Schädel gebohrt, um dann mittels Spezialsonden die Basalganglien zu erreichen. Dies braucht viel Technik und Erfahrung.
Was ist ein Schiefhals?
Das ist die häufigste und auffälligste Form der Dystonie. Menschen mit einem Schiefhals fühlen sich stark als Außenseiter und werden von der Gesellschaft auch so behandelt. So wäre es wünschenswert, dass der Schiefhals so schnell wie möglich als Dystonie erkannt und entsprechend behandelt wird. Die Muskelverkrampfung kann verschiedene Halsmuskeln betreffen. Das Gefühl ist dann so, als ob die Verkrampfung so richtig in die Muskelstränge hineinschießt und den Kopf in irgendeine Richtung wegzieht. Bei manchen Patienten kann sich ein Kopfwackeln oder Zittern hinzugesellen. Dies alles hat aber nichts mit der Nackenverspannung zu tun, die man z. B. bei zuviel Computerarbeit bekommt.
Die Beschwerden können im Sitzen, Stehen, Gehen oder Liegen unterschiedlich sein. Vor allem beim Schiefhals wenden die Betroffenen automatisch Tricks (geste antagoniste) zur Erleichterung der Beschwerden an. So kann das Anlegen eines Fingers an der Wange zu einer Abnahme des Muskelzuges führen.
Der Schiefhals kann lebenslang andauern, aber genauso auch plötzlich wieder vergehen oder zumindest besser werden. Autor: Wissen Gesundheit-REdaktion
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