RATGEBER - Rheuma
Entzündliches Wirbelsäulenrheuma (Morbus Bechterew) An Rückenschmerzen leiden mehr als zwei Drittel der Menschen schon vor ihrem fünfundvierzigsten Lebensjahr.
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Die Behandlung ist dann erfolgreich, wenn sie sich an der Ursache und richtigen Diagnose orientiert. Mit der Diagnose „Wirbelsäulensyndrom“ oder einfach „Rückenschmerzen“ sollte sich daher keiner zufrieden geben.
Entzündliche Prozesse an den Gelenken und Bändern der Wirbelsäule sind die Ursache für die Rückenschmerzen beim Morbus Bechterew. Die Schmerzen gehen dabei vor allem vom untersten Teil der Wirbelsäule aus.
Die gelenkigen Kreuz-Darmbein-Verbindungen (Ileosacral Gelenke; ISG) spielen die Hauptrolle bei der Bechterewschen Erkrankung. Aber auch die Symphysenfuge oder die höher gelegenen Wirbelkörper und andere Gelenke können betroffen sein.
Info
Andere Bezeichnungen für den Morbus Bechterew (MB): - Bechterewsche Erkrankung
- Spondylitis ankylosans (SpA)
- Spondylitis ankylopoetica
- ankylosierende Spondylitis (AS)
Wer erkrankt an Morbus Bechterew?
In Deutschland leidet fast jeder hundertste Erwachsene an dieser Krankheit. Sie ist damit so häufig wie die rheumatoide Arthritis. Der Verlauf der Erkrankung ist individuell sehr unterschiedlich.
Die Krankheit beginnt zwischen dem 15. und 30. Lebensjahr, selten bis zum Alter von 45 Jahren.
Männer sind dreimal häufiger betroffen als Frauen. Selten erkranken Kinder ab etwa dem 8. Lebensjahr. Eine Ursache ist nicht bekannt.
Eine Vererbbarkeit der Erkrankung macht sich dadurch deutlich, dass in einer Familie oft mehrere Geschwister oder Verwandte betroffen sind.
Man kann bei 95 Prozent der Bechterow-Patienten einen genetischen Marker, nämlich das HLA-B27 nachweisen, das in der „Normalbevölkerung“ nur bei 5 Prozent zu finden ist.
Der positive Nachweis des HLA-B27 ist keineswegs ausreichend, um die Diagnose eines Morbus Bechterew zu stellen.
Andere Erbfaktoren werden derzeit untersucht. Man hofft dadurch Krankheitsuntergruppen ausfindig zu machen, die durch unterschiedliche Therapien jeweils gezielter und besser behandelt werden können.
Der Morbus Bechterew wird durchschnittlich erst 7 Jahre nach seinem Beginn erkannt. Dann ist der Krankheitsprozess vielleicht schon weit fortgeschritten. Die Behandlung ist dann weniger erfolgreich. Deshalb müssen die Frühzeichen bekannt sein.
Früherkennung
„Gewöhnliche“ Rückenschmerzen bessern sich innerhalb eines Jahres. Dauern die Beschwerden länger an, dann ist eine gründliche ärztliche Untersuchung fällig.
Die Erkrankung beginnt mit dumpfen, tiefsitzenden, kaum einer bestimmten Region sicher zuzuordnenden Rücken- oder Gesäßschmerzen nach einer längeren Ruhephase. Sie dauern jeweils länger als eine halbe Stunde an.
Die Körpertemperatur kann leicht erhöht sein, Appetitverlust und das allgemeine Gefühl, krank zu sein, kommen hinzu. Lichtempfindlichkeit oder Bindehautentzündungen, verschwommenes Sehen sind ebenfalls Frühsymptome des Morbus Bechterew.
Die Schmerzen verschlimmern sich nach längeren Ruhephasen. Deswegen werden die Bechterew-Patienten morgens von Rückenschmerzen geweckt. Sie stehen auf, laufen herum und Schmerzen und Steifigkeitsgefühl werden innerhalb der nächsten halben Stunde geringer. Oft hilft eine warme Dusche. In der Kälte und in feuchten Räumen verschlimmern sich die Symptome.
Ohne gezielte Schmerzlinderungsmaßnahmen dauert die Morgensteifigkeit mehr als eine halbe Stunde. Im Laufe des Tages treten dann Mattigkeit und Müdigkeit auf.
Die Krankheit betrifft eben nicht nur die Wirbelsäule, sie ist im ganzen Körper vorhanden.
Durch Kippung des Beckens kann der Schmerz verringert werden. In dieser entlastenden Position steifen aber die Gelenke ein und die Fehlhaltung wird fixiert.
Ohne Schmerztherapie und Gegenmaßnahmen durch eine physikalische Therapie kommt es dazu, dass die Brust- und Lendenwirbelsäule nach vorne geneigt bleibt, die typische Fehlhaltung des unbehandelten Bechterew-Patienten.
Bei wenigen Patienten stehen Schmerzen in den Hüft-, Knie-, oder Schultergelenken am Anfang. Dann besteht Verwechslungsgefahr mit anderen rheumatischen Erkrankungen.
Treten keine oder nur geringe Rückenschmerzen auf, oder gibt es nur ein Steifigkeitsgefühl im Rücken oder verspannte und schmerzhafte Rückenmuskeln, dann wird oft fälschlicherweise eine Fibromyalgie diagnostiziert.
Andere Entzündungssymptome können Signal für das Vorliegen eines Morbus Bechterew oder einer verwandten Erkrankung sein. So erleidet jeder dritte Patient eine akute Augenentzündung (Iritis), bei anderen besteht gleichzeitig eine Schuppenflechte (Psoriasis) oder eine entzündliche Dünn- oder Dickdarmerkrankung (Morbus Crohn; Colitis ulcerosa).
Untersuchungen
Der Arzt sucht nach Zeichen der Einsteifung oder nach Entzündungen der Wirbelsäulengelenke.
Typisch ist, wenn beim Ein- und Ausatmen die Brustkorbbewegung vermindert ist, ebenso die Bewegung des Schultergürtels und der Hüftgelenke. Überall, wo Sehnen in den Knochen münden, können Entzündungen und Schmerzen entstehen, so z.B. an der Achillessehne und am Sitzbeinknochen.
Rückwärts- und Vorwärtsbewegung, Seitneigung (ohne Kniebeugung) und die Drehung in der Wirbelsäule sind oft schon zu Beginn der Erkrankung nur noch eingeschränkt möglich.
Durch Röntgenbilder der Wirbelsäule werden andere Ursachen ausgeschlossen. Die typischen Röntgenzeichen an der Wirbelsäule und den Gelenken sind meist erst im späteren Krankheitsverlauf zu finden.
Die Magnetresonanztomographie stellt Weichteilprozesse besser dar und kann im Zweifelsfall früher die Diagnose einer Entzündung in der Kreuz-Darmbein-Verbindung (ISG) bestätigen.
Laboruntersuchungen werden sowohl zur Diagnostik als auch zur Verlaufskontrolle durchgeführt. Es gibt keinen „Bechterew-Bluttest“.
Entzündungswerte tragen aber doch zur Einordnung der Erkrankung und zur Therapieentscheidung bei.
Behandlung
Eine Heilung ist nicht möglich, die meisten Patienten können aber bei adäquater Therapie ein fast normales Leben führen.
Mehr zu den einzelnen Behandlungsmöglichkeiten auf den folgenden Seiten.
Medikamentöse Behandlung
Nicht steroidale Antirheumatika vermindern Schmerz, Entzündung und Steifigkeitsgefühl. Beispiele sind Diclofenac, Ibuprofen, Naproxen.
Man muss ausprobieren, welches Medikament am besten wirkt und wie hoch die benötigte Dosis ist.
Patienten mit Magen-Darm-Problemen sollten auf neuere Antirheumatika ausweichen, die so genannten COXIBe, die gleich wirksam, aber magenfreundlicher sind.
In manchen Fällen sind zusätzlich Magenschutzmittel wie Protonenpumpenhemmer sinnvoll.
Durch Cortisoninjektionen können betroffene Gelenke mit Erfolg behandelt werden. Cortisonaugentropfen werden bei schwereren Augenbeteiligungen verordnet.
Bei schwereren Verläufen, die nicht nur die Wirbelsäule betreffen, werden Basistherapien, meist mit Sulfasalazin als Tablette, durchgeführt. Das sind Langzeittherapien, die das Fortschreiten der Erkrankung aufhalten können.
Andere Basistherapeutika sind Goldsalzinjektionen, Metotrexat als Tablette oder Spritze einmal pro Woche, Hydroxychloroquin oder Azathioprin in Tablettenform. Diese Behandlungen müssen im Verlauf aus Sicherheitsgründen ärztlich überwacht werden.
Wenn die entzündliche Aktivität hoch ist, dann haben sich zur Behandlung die neueren Biologika (z.B. Infliximab oder Adalimumab) sehr bewährt. Sie werden z.B. als Infusion oder Injektion in mehrwöchigen Abständen gegeben. Über die Dauer dieser Therapie entscheidet der Therapieerfolg.
Auch Therapieversager haben eine gute Chance, beschwerdefrei zu werden. Die neuen Biologika sind hochwirksam, wenn auch recht teuer.
Physikalische Therapie
Die wohl wichtigste Behandlung bei Bechterew-Patienten ist die konsequente Bewegungstherapie, um die Beweglichkeit der Wirbelsäule zu erhalten oder zu verbessern und die Wirbelsäule in einer aufrechten, funktionell günstigen Position zu halten.
Atemübungen sollen die Funktion des knöchernen Brustkorbs gewährleisten. Gute Beweglichkeit vermindert Schmerzen. Neben der angeleiteten Krankengymnastik muss der Patient lernen, Übungen regelmäßig selbst durchzuführen.
Die Erhaltung der normalen Körperhaltung kann auch durch Schwimmen, Spazieren gehen oder Skilanglauf erreicht werden.
Massagen und Wärme- oder Kälteanwendungen können das Befinden bessern und die Voraussetzungen für die anderen Übungsbehandlungen verbessern.
Eine gelockerte, weiche, schmerzfreie Muskulatur lässt sich durch Krankengymnastik viel besser trainieren und behandeln, als eine vor Schmerzen verspannte Muskulatur.
Operationen
Schwere Veränderungen an der Wirbelsäule, den Hüftgelenken oder der Schulter geben öfter Anlass zum Operieren.
Aufrichtungsoperationen der Wirbelsäule sind wegen der Gewebeverhärtungen extrem schwierig.
Operationen zum Ersatz des entzündeten Hüftgelenkes werden meist durch ansonsten nicht therapierbare Schmerzen erforderlich.
