RATGEBER - Schmerzen
Die Potentesten unter den Schmerzmitteln: Opioide
Faszinierenderweise besitzen wir körpereigene Schmerzmittel, die Endorphine.
Sie werden ausgeschüttet, wenn wir unter Stress stehen und vermitteln eine schmerzstillende und euphorisierende Wirkung.
Besonders gut kennen zum Beispiel Marathonläufer diese Euphorie nach einem durchstandenen Lauf.
Endorphine entfalten ihre Wirkung, indem sie sich an spezielle Rezeptoren binden - die Opiatrezeptoren. Dadurch werden Nervenzellen im Gehirn und Rückenmark aktiviert, welche für die Unterdrückung von Schmerzreizen verantwortlich sind.
Opiatrezeptoren sind vor allem im Gehirn und Rückenmark vorhanden, kommen aber auch im Magen-Darm-Trakt, an den Augen und an den Harnwegen vor. Sie können nicht nur von den körpereigenen Endorphinen aktiviert werden, sondern auch von einer Reihe von Medikamenten, die man deshalb als „Opioide“ bezeichnet.
Opioide aktivieren sozusagen das schon im Körper vorhandene Schmerzabwehrsystem.
Ihren Namen verdanken die Opioide dem pflanzlichen Stoff Opium - der wohl ältesten schmerzlindernden Substanz überhaupt.
Im Laufe der Jahrhunderte wurde Opium in den verschiedensten Zubereitungen und Darreichungsformen angewendet, bevor Anfang des 19. Jahrhunderts die eigentlich schmerzstillende Komponente des Opiums entdeckt wurde, das Morphium.
Inzwischen sind zahlreiche weitere Stoffe mit morphinartiger Wirkung entwickelt worden. Trotz unterschiedlicher chemischer Struktur ist allen gemeinsam, dass die schmerzlindernde Wirkung über eine Bindung an Opiatrezeptoren zustande kommt.
Generell sind Opioide die potentesten Schmerzmittel, die der modernen Medizin zur Verfügung stehen.
Eingesetzt werden sie bei akuten Schmerzen, bei denen die peripher wirksamen Analgetika nicht mehr ausreichend wirksam sind, zum Beispiel nach schweren Verletzungen, einem Herzinfarkt oder längeren Operationen.
Auch bei chronischen Schmerzen werden sie verwendet; Haupteinsatzgebiet ist dabei der Tumorschmerz.
Angesichts der guten Erfolge von Opiaten bei der Behandlung von Krebspatienten werden sie zunehmend auch bei Patienten verwendet, die an nichttumorbedingten chronischen Schmerzen leiden, zum Beispiel an chronischen Rückenschmerzen, Osteoporose oder entzündlichen oder durch Abnutzung bedingten Skeletterkrankungen.
Die Opioide haben den Vorteil, dass sie lange Zeit genommen werden können, ohne dass Organschäden auftreten.
Opioide sind in vielen Darreichungsformen erhältlich - als Tabletten, Tropfen, Granulat und als Schmerzpflaster.
Inzwischen gibt es auch viele „Retard-Präparate“. Hierbei wird der Wirkstoff kontinuierlich und langsam in den Körper abgegeben. Der Vorteil für den Patienten ist, dass er sein Medikament seltener einnehmen muss.
Welches Medikament in welcher Darreichungsform im Einzelfall am günstigsten ist, hängt von verschiedenen individuellen Faktoren ab und muss mit dem Arzt abgesprochen werden.
Schwache und starke Opioide
Die einzelnen Opioide binden jeweils unterschiedlich stark an die Opiatrezeptoren - dementsprechend führen sie auch zu einer unterschiedlich starken Schmerzhemmung. Je nachdem, wie intensiv ihre Bindung an die Opiatrezeptoren ist, unterscheidet man schwache von stark wirksamen Opioiden.
Da sich die Wirkstärken der einzelnen Opioide zum Teil erheblich voneinander unterscheiden, hat man das Morphin zur gemeinsamen Bezugssubstanz gemacht, an der alle anderen Opioide gemessen werden.
Schwache Opioide werden in Deutschland sehr häufig verordnet, zum Beispiel Dihydrocodein, Tramadol oder Tilidin-Naloxon. Die stark wirksamen Opioide wie Morphin, Hydromorphon, Fentanyl oder Oxycodon kommen dann zum Einsatz, wenn mithilfe der schwachen Opioide keine Schmerzstillung mehr zu erreichen ist.
Sie fallen unter die Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung, das heißt, dass der Arzt einen speziellen Antrag stellen muss, ehe er das Medikament verschreiben kann.
Das Schmerzpflaster
Medikamente stehen uns heutzutage in verschiedenen Formen zur Verfügung - als Tabletten, Zäpfchen, es gibt Inhalationssprays, Salben oder Spritzen. Viele Möglichkeiten also, unserem Körper Arzneistoffe zuzuführen.
Die Methode, dem Körper Stoffe mithilfe eines Pflasters zugänglich zu machen, ist schon seit längerem durch Nikotin- und Hormonpflaster bekannt.
Schmerzpflaster werden auch als transdermale (= durch die Haut gehende) Systeme bezeichnet, denn der jeweilige Wirkstoff ist in einem Pflaster gebunden und wird über die Haut aufgenommen.
Mit der Einführung des ersten Schmerzpflasters im Jahre 1995 wurde diese Darreichungsform auch für die Schmerztherapie aktuell.
Mittlerweile gibt es zwei opioidhaltige Schmerzpflaster. Sie sind praktisch und alltagstauglich, denn man kann mit ihnen baden oder duschen und muss sie nur alle drei Tage wechseln.
Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass man nicht immer an die nächste Medikamenteneinnahme denken muss, sondern von ganz alleine einen gleichmäßigen Wirkstoffspiegel im Blut erhält.
Wichtig: Bitte kleben Sie das Pflaster nicht dahin, wo es weh tut, sondern am besten an den Oberkörper oder an den Oberarm. Über die Haut gelangt der Wirkstoff in das Blut und von dort aus überall hin.
Matrix- oder Buprenorphinpflaster
Dies ist das neuere der beiden Pflaster. Der Wirkstoff Buprenorphin ist dem Morphin ähnlich, wirkt aber etwa 40- bis 60-mal stärker als die Ursubstanz und hat keine halluzinogenen Wirkungen.
Bei dem Matrixpflaster ist der Wirkstoff in eine Schicht inmitten des Pflasters eingelagert und diffundiert kontinuierlich in die Haut, wo sich ein kleiner Wirkstoffvorrat bildet. Hieraus gelangt der opioidartige Wirkstoff in den Körperkreislauf, übrigens eine Zeitlang auch dann noch, wenn das Pflaster entfernt wurde.
Es gibt drei Pflastergrößen und damit verbunden drei Wirkungsstärken. Der optimale Wirkstoffspiegel ist im Blut nach 24 Stunden beim kleinsten Pflaster und nach 12 Stunden beim größten Pflaster erreicht.
Reicht die Wirkstoffmenge des größten Pflasters nicht, kann man auch zwei Pflaster aufkleben. Mehr dürfen es aber nicht sein, weil sich dann die Wirkungseffekte nicht weiter steigern lassen, wohl aber die Nebenwirkungen.
Reservoir- oder Fentanylpflaster
Ein anderes Schmerzpflaster enthält den Wirkstoff Fentanyl - also ein Opioid-Schmerzmittel - mit einer Wirkstärke, die 75- bis 100-mal so hoch ist wie die von Morphin.
Fentanyl wird seit vielen Jahren als Schmerzmittel bei Operationen eingesetzt.
Die Wirksubstanz im Pflaster durchdringt die verschiedenen Hautschichten, um schließlich in die Blutbahn zu gelangen und ihre Wirkung zu entfalten.
Das Pflaster ist aus verschiedenen Schichten aufgebaut. Eine Kontrollmembran sorgt dafür, dass der Wirkstoff genau dosiert und gleichmäßig abgegeben wird, um die Konzentration im Körper konstant zu halten.
Das Pflaster ist in vier verschiedenen Größen erhältlich und wird auf eine trockene, möglichst unbehaarte Hautstelle aufgeklebt. Die Wirkdauer beträgt 72 Stunden - ein Wechsel erfolgt also alle drei Tage, wobei das neue Pflaster auf eine andere Hautstelle aufgeklebt werden muss.
Der Vorteil auch dieses Pflasters besteht darin, dass wie von selbst ein gleichmäßiger Wirkstoffspiegel erreicht wird. Es besteht keine Obergrenze nach oben, bei stärkeren Schmerzen können mehrere Pflaster aufgeklebt werden.
Vorsicht: Dieses Fentanyl-Pflaster darf niemals durchgeschnitten werden, zum Beispiel um Kosten zu sparen. Durch das Zerschneiden wird die Kontrollmembran beschädigt und das Pflaster wird unbrauchbar.
Wann Schmerzpflaster und wann Tabletten?
So verlockend die Pflasterlösung scheinen mag, ein Allheilmittel ist sie nicht, denn das Pflaster eignet sich lediglich bei lang andauernden chronischen Schmerzen, die in ihrer Stärke relativ konstant sind.
Nicht anzuwenden ist es dagegen, um kurzfristige Schmerzzustände abzufangen (zum Beispiel nach Operationen) oder bei starken, ständig wechselnden Schmerzen. Es ist aber möglich, zur Grundversorgung ein Schmerzpflaster zu verwenden und zusätzlich ein orales Opioid für die Schmerzspitzen.
Der Hauptvorteil des Pflasters gegenüber Tabletten ist, dass auch solchen Patienten eine Schmerzbehandlung ermöglicht wird, die aufgrund von Tumoren im Kiefer-, Gesichts- oder Halsbereich oder wegen anderer Beschwerden keine Tabletten schlucken können, oder bei denen hartnäckiges Erbrechen besteht.
Die Nebenwirkungen unterscheiden sich kaum von denen der Opioide in Tablettenform, normalerweise ist die Verstopfung nicht so stark ausgeprägt.
Wichtig ist zu wissen, dass die Abgabe der Opioide durch Wärme gesteigert wird - deshalb ist Vorsicht geboten bei Fieber, Rotlicht, Sonnenbaden, Sauna oder Wärmekissen.
Bei Hauterkrankungen, starkem Untergewicht sowie während der Schwangerschaft und Stillzeit sind Opioid-Pflaster nicht zu empfehlen.
Opioide: Starke Wirkung bei guter Verträglichkeit
Ein großer Vorteil der Opioide ist, dass sie zwar sehr potent Schmerzen lindern, gleichzeitig aber kaum Nebenwirkungen haben.
Am Anfang der Behandlung kann es zu Müdigkeit und Übelkeit kommen, manchmal treten auch leichte Kreislaufprobleme auf. Diese Beschwerden verschwinden aber nach einer kurzen Anpassungszeit von zwei bis drei Wochen wieder.
Werden Opioide langfristig eingenommen, kommt es häufiger zu einer etwas unangenehmen Verstopfung. Daher sollte man auf eine ausgewogene, ballaststoffreiche Ernährung achten, viel Flüssigkeit zu sich nehmen und für genügend Bewegung sorgen.
In hartnäckigen Fällen kann die Verstopfung mit Abführmitteln behandelt werden.
Eine weitere Nebenwirkung der Opioide ist, dass sie Hustenreiz unterdrücken - deshalb werden manche Präparate auch als Hustensaft verwendet, zum Beispiel Kodein.
Gefährlicher kann es werden, wenn Opioide überdosiert werden. Die mögliche Folge ist eine bedrohliche Atemlähmung. Im Ernstfall kann diese aber durch das Medikament Naloxon wieder aufgehoben werden.
Wichtig: Wer erstmals Opioide erhält, sollte sich vorsorglich auch ein Mittel gegen Übelkeit verschreiben lassen. Nach ein bis zwei Wochen verschwindet die Übelkeit von alleine und man kann das Zusatzmedikament wieder absetzen.
Wenn man allerdings nicht so verfährt, könnte man in den ersten Tagen von der Übelkeit überrascht und womöglich entmutigt werden. Das wäre bedauerlich, denn dann verzichtet man auf ein recht verträgliches und sehr gut wirksames Schmerzmittel.
Kann ich abhängig werden?
Immer wieder fürchten Patienten, dass sie von den eingenommenen Opioiden abhängig werden könnten.
Lange Jahre herrschte geradezu eine „Morphinphobie“, die den Einsatz dieses hochwirksamen Medikamentes bedauerlicherweise sehr erschwerte. Was ist dran an der Angst vor der Abhängigkeit?
Zunächst einmal muss man wissen, dass (körperliche) Abhängigkeit nicht gleichzusetzen ist mit (psychischer) Sucht.
Viele Patienten sind abhängig von Medikamenten - der Diabetiker von Insulin, der Asthmatiker vom Inhalationsspray, und der Schmerzpatient eben von Schmerzmitteln -, was aber nicht heißt, dass sie auch danach süchtig sind. Das Verlangen nach Schmerzfreiheit ist keine Sucht.
Werden Opioide über einen längeren Zeitraum eingenommen und dann abrupt abgesetzt, kann es allerdings zu körperlichen Entzugserscheinungen kommen.
Die Symptome ähneln einer leichten Grippe und sind umso stärker, je länger die Behandlung angedauert hat und je höher die eingenommene Dosis war.
Vorgebeugt wird hier, indem die Medikamente ausschleichend, also langsam abgesetzt werden.
Das Verlangen nach hilfreichen Medikamenten ist, wie gesagt, etwas ganz anderes als echte Sucht.
Unter Sucht versteht man das unbändige Verlangen nach dem „Kick“, nach der Euphorie, das „Nicht-mehr-ohne-den-Stoff-Können“. Dieses unbändige Verlangen entsteht, wenn der Wirkstoffspiegel im Körper nicht konstant bleibt, sondern ständig schwankt: Das „Auf und Ab“ ist es, das uns süchtig macht.
Deshalb versucht man, einen konstanten Wirkstoffspiegel im Körper anzustreben, einerseits indem die Schmerzmedikamente nach einem festen Zeitplan eingenommen werden und nicht nach Bedarf, andererseits durch den Einsatz von retardierten Opioiden.
„Retardiert“ bedeutet, dass der Wirkstoff kontinuierlich und nicht auf einmal ins Blut abgegeben wird.
Werden diese Grundregeln eingehalten, kann keine Sucht entstehen, und es gibt folglich keinen Anlass zur Besorgnis.