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Jugend und Suizid: Signale sehen ist wichtig
Suizid bei Jugendlichen verhindert man am besten, indem man frühe Warnzeichen erkennt und dem Betroffenen hilft, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Zu diesem Schluss kommt der Psychiater Christian Haring, Leiter der Jahrestagung der deutschen und österreichischen Gesellschaft für Suizidprävention vergangenes Wochenende in Hall. "Suizid ist bei Jugendlichen ein großes Problem. Treffen jene, die in Gefahr sind, auf einfühlende Menschen, die ihnen den Schritt zur Therapie erleichtern, gelingt meist eine positive Wende", so der Experte im pressetext-Interview.
Verstecktes Problem
Bei der Altersgruppe bis 45 Jahre gehört Suizid zu den häufigsten Todesursachen. Bei Jugendlichen rangiert er hinter Unfällen und Krebs sogar auf Platz drei. "In Tirol haben 18 Prozent der jugendlichen Mädchen und acht Prozent der Jungen selbstschädigendes Verhalten, das man als 'parasuizidal' werten kann. Laut einer Heidelberger Studie haben neun Prozent der weiblichen und 4,5 Prozent der männlichen 15-Jährigen bereits einmal Suizid versucht", so Haring. Da Medien nicht über Suizid berichten, Betroffene kaum im Gesundheitssystem auftauchen und selbst Ärzte die Gefährdeten zu sehr durch die Krankenhausbrille sehen, ist vielen das Problem nicht bewusst.
Dass die Pubertät und Jugend eine Krisenzeit ist, ist nur verständlich, betont Haring. "Pubertierende sind nicht nur von Natur aus schwierig und launisch, sondern auch die Anforderungen dieser Lebensphase sind extrem hoch. Jugendliche müssen Schule, Lehrplatzsuche und oft auch Arbeitslosigkeit bewältigen, haben oft aber noch nicht die nötigen Ressourcen dafür. Zudem werden sie von den Erwachsenen noch nicht richtig ernst genommen. Dazu erscheint ihnen die Welt, die sie in den Nachrichten sehen, als düster und hoffnungslos."
Verständnis statt Verbote
Krankhafte Zustände und seelische Probleme übersieht man bei Jugendlichen häufig oder kehrt sie beiseite, warnt der Experte. "Sind Erwachsene depressiv oder geraten in Burnout, so rät man ihnen, sich zu schonen und gewährt ihnen Auszeit. Depression zeigt sich im Jugendalter jedoch ganz anders." Die Ausdrucksformen seien vielseitig und reichen von Schulversagen, Verweigerung, hohem Alkoholkonsum bis hin zum Rückzug ins Internet oft länger als vier Stunden pro Tag für außerschulische Zwecke. Das Gegenwirken durch erhöhten Druck, Verbote und Schulnoten ist hier meist nur kontraproduktiv.
Statt ständiges Zurufen von hinten, wie das Leben laufen sollten, empfiehlt Haring den Eltern einfühlsames Verhalten. "Nur jeder dritte Jugendliche sucht in derartigen Krisen Rat bei den Eltern. Für sie ist wichtig zu signalisieren: Ich bin da, wenn du mich brauchst. Verständnis und kreative Maßnahmen wirken hier am besten." In der Schule sei ein positives Klassenklima die beste Prävention, wenden sich doch viele bei Suizidgedanken zuerst an Gleichaltrige. "Das ist positiv, allerdings verhindert das Anvertrauen an Mitschüler meist die Suche professioneller Hilfe. Wichtig ist, dass Gleichaltrige helfen und an Profis weiterleiten."
Schulfach Krisenbewältigung
Die Tagung bot auch Einblick in erste Ergebnisse der Studie SEYLE ("Saving and Empowering Young Lives in Europe"), die jugendliches Risikoverhalten europaweit erforscht und zugleich Prävention bietet. 16 Tiroler Schulen machen heuer am vierteiligen Programm mit, berichtet Haring. "Zuerst steht ein Fragebogen. Dieser sucht nach Jugendlichen der Risikogruppe, die man zu Gesprächen mit Fachleuten einlädt." Zugleich wird ein Training für an Schulen arbeitende Menschen geboten, die Probleme frühzeitig erkennen und Gespräche suchen, sowie auch für Peer Groups. Der vierte Schritt ist eine Plakatkampagne.
Medien tragen Verantwortung
Die Kampagne hält Haring für wichtig, da auch die Medien aktiv Prävention betreiben können. "Die interne Abmachung, nicht über Suizidfälle zu berichten, verhindert zwar erfolgreich Nachahmer, doch übersieht man dadurch das Problem." Medien sollten in Fallbeispielen zeigen, wie man Krisen überwindet, denn auch das verhindert nachweislich Suizid. Als "Papageno-Effekt" haben Wiener Mediziner das Phänomen kürzlich benannt, in Anspielung auf den Zauberflöten-Darsteller, der in einer Lebenskrise durch Zuruf von drei Knaben wieder neuen Mut schöpft. "Genau wie die Psychotherapie müssen auch Medien Hilfen und Lösungen bieten, statt die Menschen in einem Loch zurückzulassen", so der Tiroler Psychiater.
Autor: pressetext.at, Johannes Pernsteiner (Stand 11.10.2010)